Küstenschmetterlinge in Niedersachsen

Über das Leben der Flechtenbärchen

„Darf ich mich selber erstmal vorstellen? Wir Flechtenbärchen sind eine spezielle Gruppe von Bärenspinnern, deren Raupen Flechten fressen.“

Bis vor kurzem war die genaue Lebensweise dieser Unterart (wissenschaftlicher Name: Eilema pygmaeola pygmaeola) noch unbekannt. Man wusste nur, dass ihre Raupen vermutlich an Bodenflechten fressen. Aber wo genau leben sie? Und wovon ernähren sich die Raupen?

In den Dünen der Ostfriesischen Inseln wachsen viele verschiedene Flechtenarten. Der Tisch ist für die Flechtenbärchen-Raupen also reich gedeckt. Allerdings gibt es in diesem Lebensraum ein Problem: Die Bodentemperatur ist tagsüber oft sehr hoch – an warmen Sommertagen kann es dort über 50°C heiß werden. Bei solchen Temperaturen würde eine Raupe vertrocknen. Aber es gibt eine Lösung: Rentierflechten. Diese Flechten sind stark verzweigt und bilden ein schützendes „Haus“, in das sich die Raupen tagsüber verkriechen.

 

„Die Rentierflechte schützt meine Kinder nicht nur vor Austrocknung, sondern auch vor hungrigen Vögeln!“

Tagsüber trocknen die oberen Teile der Rentierflechte und können von den Raupen nicht gefressen werden. Erst nachts werden sie durch die höhere Luftfeuchtigkeit weich und eignen sich als Raupenfutter.

Ohne die Rentierflechte würde es das Blassstirnige Flechtenbärchen auf den Ostfriesischen Inseln vermutlich nicht geben.

Übrigens: Obwohl viele Flechten grün sind, gehören sie nicht zu den Pflanzen. Sie sind eine Lebensgemeinschaft aus Pilz und Alge.

 

 

Was sind Küstenschmetterlinge?

Strand-Erdeule
Die Strand-Erdeule ist ein typischer Küstenschmetterling.

Typisch für Salzwiesen und Strände sind ein hoher Salzgehalt im Boden und regelmäßige Überflutung. Küstenschmetterlinge sind an diese extremen Lebensbedingungen angepasst und kommen deshalb nur an der Küste vor. Im Binnenland kommen sie nicht vor.

Es gibt aber auch Schmetterlingsarten, die in den Dünenbereichen der Ostfriesischen Inseln noch ziemlich  häufig vorkommen, während sie in anderen Lebensräumen auf dem Festland fast ausgestorben sind. Das liegt zum Beispiel daran, dass durch Intensivierung der Landwirtschaft ihre Lebensräume zerstört wurden. Obwohl solche Arten inzwischen vielleicht nur noch an der Küste vorkommen, bezeichnet man sie nicht als „Küstenschmetterlinge“.

 

 

 

 

Fridos Welt – die Lebensräume der Küstenschmetterlinge

Typische Lebensräume für Küstenschmetterlinge sind Salzwiesen, Dünen und Strände. Auf den Ostfriesischen Inseln findet man die Strände an der Seeseite und die Salzwiesen an der landwärtigen Seite. Bei den Dünen wird es komplizierter – man unterscheidet junge und alte Dünen, die sich in der Bodenzusammensetzung und im Pflanzenbewuchs unterscheiden. Am besten beginnen wir mal am Strand:

Strand

Am Strand besteht der Boden aus reinem Sand. Er ist salzig, weil er regelmäßig vom Meer überflutet wird. Mit diesen Bedingungen kommen nur wenige Pflanzen klar. Typische Strandpflanzen sind der Meersenf und die Salzmiere. An diesen Pflanzen fressen die Raupen der Strand-Erdeule.

Weißdüne

Weißdünen sind die höchsten Dünen der Ostfriesischen Inseln. Sie bestehen aus weißem Sand und wenn der Wind weht, verändern sie sich. Auf diesem beweglichen Lebensraum wächst vor allem der Strandhafer, welcher die jungen Sandhügel mit seinen Wurzeln durchdringt. Auch Strandroggen wächst auf der Weißdüne. Man kann diese beiden Gräser leicht unterscheiden: Strandhafer hat dünne Halme mit langen, grünen Blättern, und Strandroggen hat dickere Halme mit breiten, bläulich-grünen Blättern.

Graudüne

Graudünen sind aus älteren Weißdünen entstanden. Weil hier der Sand nicht mehr in Bewegung ist, haben sich viele Kräuter und Gräser angesiedelt. Durch abgestorbene Pflanzenteile ist etwas Humus entstanden – dadurch kommt die graue Farbe des Sandbodens zustande. Die Graudüne ist sehr artenreich. Hier leben viele Pflanzen- und Tierarten.

Braundüne

Braundünen sind aus älteren Graudünen entstanden. Man kann es sich denken: sie heißen „Braundünen“, weil sich auf ihnen eine Schicht brauner Erde gebildet hat. Braundünen findet man besonders an den Nordseiten alter Dünen – hier kann sich mehr Bodenfeuchtigkeit halten. Deshalb wachsen hier vor allem Krähenbeere und Tüpfelfarn.

An den Südseiten älterer Dünen haben sich wegen der stärkeren Sonneneinstrahlung magere Graudünenbereiche erhalten, auf denen Silbergras und Flechten wachsen.  Im Bereich der Braundünen gibt es also ein Nebeneinander von Braun- und alten Graudünen.

„In solchen alten Graudünen mit Flechten ist mein zu Hause!“

Salzwiese

Die Salzwiese ist ein extremer Lebensraum: Er wird regelmäßig überflutet und ist sehr salzig. Hier wachsen nur bestimmte Pflanzen, die mit solchen Umweltbedingungen klar kommen. Man unterscheidet zwischen Oberer und Unterer Salzwiese: unten (direkt am Meer) wird sie täglich und oben (näher an der Insel) wird sie nur manchmal überflutet. Im Bereich der Salzwiese leben viele Schmetterlingsarten – unter ihnen etliche typische Küstenschmetterlinge.

Schmetterlingsforschung

Leuchtturm
Leuchtvorrichtung zum Nachweis von Nachtfaltern

Auf den Ostfriesischen Inseln begannen ungefähr 1880 die ersten Forscher, nach Schmetterlingen zu suchen. Dabei hatte jeder Forscher normalerweise eine bestimmte Lieblingsinsel, auf der er Urlaub machte und Schmetterlinge suchte. Damals fand man es besonders interessant, die unterschiedlichen Variationen der Falter zu beschreiben. Von einigen Arten gibt es an der Küste nämlich besonders hell gezeichnete Falter (Küstenformen). Seit den 1970-er Jahren interessierten sich die Forscher mehr für die genaue Lebensweise der Schmetterlinge. Nach dem Start des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahr 1976 wurde es immer wichtiger,  die Biologie von Raupen und Faltern zu verstehen, um sie besser schützen zu können.

Weil die Forschung auf den Inseln aber aufwendig ist (sie sind fast alle autofrei und man muss sperrige Ausrüstung auf der Fähre transportieren), wuchs das Wissen über Schmetterlinge nur in kleinen Schritten. Erst 1986 entdeckte Ulrich Lobenstein die Salzwiesen-Weißadereule auf der Insel Mellum – ein nur schwer bestimmbarer Küstenfalter, der erst 1896 als eigene Art beschrieben wurde. 2008 wurde von der Universität Oldenburg ein Buch herausgegeben, in dem sämtliche bisherigen Kenntnisse über das Vorkommen von Pflanzen und Tieren auf den Ostfriesischen Inseln zusammengefasst wurden. In zwei Kapiteln nennt der Biologe Jens Kleinekuhle alle Schmetterlingsarten, die nach bisherigem Wissensstand auf den Inseln vorkommen. Bei dieser Zusammenstellung wurde deutlich, dass man von vielen Arten zu wenig wusste, weil sie nur in der Vergangenheit gefunden wurden. Der Küstendünen-Kleinspanner zum Beispiel, eigentlich ein typischer Küstenschmetterling, wurde nur einmal im Jahr 1930 auf Borkum gefunden und seitdem nicht mehr. Unter Schmetterlingsforschern fragte man sich deshalb, ob dieser Falter heute noch auf den Inseln lebt. Außerdem wusste man noch zu wenig über die tatsächliche Verbreitung der Arten auf den einzelnen Inseln. Oft hatte man nur spärliche Funddaten von einzelnen Inseln, wobei die Arten eigentlich auf allen Inseln leben könnten. Auch zur Lebensweise bestimmter Arten wusste man derzeit noch wenig.

Weil es viele Dinge zu klären gab, begann der Biologe Carsten Heinecke im Jahr 2008, sich mit den Schmetterlingen aller sieben bewohnten Ostfriesischen Inseln zu beschäftigen. Seitdem entdeckte er über 50 Arten, die bisher noch gar nicht von den Inseln bekannt waren. Außerdem fand er einige vermisste Arten wieder – wie den Salzwiesen-Sackträger und den Küstendünen-Kleinspanner. Schließlich erforschte er auch die Lebensweise des Blassstirnigen Flechtenbärchens und fand heraus, wie die Raupen dieser Art leben.

Aber noch immer ist der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer nicht genug erforscht, um alles über die dort lebenden Schmetterlinge zu wissen. Noch immer werden dort Arten das erste Mal entdeckt, und noch immer weiß man zu wenig – besonders über die genaue Lebensweise bestimmter Raupen.

Wie leben eigentlich Schmetterlinge?

Puppe im Kokon
Puppe im geöffneten Kokon

Mal ganz von vorne: Der weibliche Falter legt Eier ... aus den Eiern schlüpfen Raupen ... die ausgewachsenen Raupen verpuppen sich ... und aus den Puppen schlüpfen schließlich erwachsene Falter, die sich paaren können. Ein Schmetterling existiert also in vier unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Man nennt das auch „vollständige Entwicklung“ – im Gegensatz zur „unvollständigen Entwicklung“, bei der das Puppen-Stadium fehlt (zum Beispiel bei Heuschrecken oder Gottesanbeterinnen).

Übrigens: Nur die Raupen bestimmter Arten spinnen vor der Verpuppung noch einen Kokon. Man nennt sie deshalb „Spinner“.

Interessant ist, dass Raupen und Falter ganz eigene Ansprüche an ihren Lebensraum haben. Raupen fressen oft nur bestimmte Pflanzen und können auch nur bei einer passenden Luftfeuchtigkeit leben. Das wissen die Falterweibchen und legen ihre Eier deshalb nur an geeignete Stellen. Während die Raupen – je nach Art – an bestimmten Pflanzen, Flechten, Pilzen oder sogar Vogelfedern fressen, benötigen die Falter zur Flugzeit normalerweise Blütennektar, den sie mit ihrem Saugrüssel trinken. Manche Falter saugen auch an feuchtem Boden oder an Tier-Exkrementen. Außerdem gibt es auch Arten, denen der Saugrüssel fehlt. Weil solche Falter keine Nahrung aufnehmen können, leben sie oft nur ein bis zwei Tage.

Die Ansprüche an ihren Lebensraum sind bei jeder Schmetterlingsart anders. Viele Arten kommen nur in einem bestimmten Lebensraum (zum Beispiel im Moor oder an der Küste) vor. Manche Arten können in unterschiedlichen Lebensräumen klarkommen (zum Beispiel in Wäldern und in Gärten). Und schließlich gibt es auch Arten, die eigentlich fast überall vorkommen können – zum Beispiel das Tagpfauenauge oder der Kleine Fuchs, deren Raupen an Brennnesseln fressen.

Schmetterlinge entdecken

Am besten kann man Schmetterlinge entdecken, wenn man ihre Gewohnheiten und ihren Lebensraum kennt. Dann kann man nämlich zur Flugzeit der Falter gezielt in passenden Lebensräumen suchen. Auf dieser Homepage werden einige Schmetterlinge der Küste genauer vorgestellt. Vielleicht kannst du ja anhand der Beschreibungen eine der Arten finden!?

Wenn du nur allgemein mal nach Faltern suchen möchtest, solltest du dazu einen richtig sonnigen Tag in der Zeit vom Mai bis September aussuchen und dich dann besonders an windgeschützten Stellen mit vielen Blüten umschauen.

Noch viel mehr Tipps findest du in dem Buch „Schmetterlinge der Ostfriesischen Inseln – Eine Anleitung für Entdecker“ von Carsten Heinecke.